Unsinnige Erdgassteuer

Von Michael Houben (November 1999) (Zur Hauptseite)

Kaum hatte die Berliner Koalition ihre Pläne für die Ökosteuer unter Dach und Fach, protestierten vor gut einer Woche die Braunkohle-Bergleute. Ministerpräsident Clement versprach, das Gesetz noch im Bundesrat zu Fall zu bringen. RWE drohte, die Investitionspläne im rheinischen Braunkohlerevier zu kippen. Prompt versprach der Kanzler, er werde auch was für die Braunkohle tun. Und all das wegen einer Sache, die anscheinend kaum jemand überhaupt verstanden hat:

Erdgasbetriebene Gas- und Dampfkraftwerke mit besonders hohem Wirkungsgrad werden, so heißt es, von der Ökosteuer befreit; dies stelle eine Benachteiligung der Kohle dar. Beide Behauptungen sind schlicht unwahr - und der Siegeszug der Erdgaskraftwerke wäre ohnehin nicht aufzuhalten gewesen. Fakt ist: Kein Kraftwerk wird von der Ökosteuer befreit! Die Ökosteuer auf Strom wird direkt mit der Rechnung des Endkunden berechnet und bezahlt. Ob da nun Braunkohlestrom, Erdgasstrom oder gar Solarenergie aus der Dose kommt: Ökosteuer wird für jede Kilowattstunde Strom fällig, auch für Gas- und Dampfkraftwerke mit besonders hohem Wirkungsgrad. Und daran wurde nichts geändert. Von Benachteiligung der Kohle keine Rede Der ganze Streit dreht sich in Wahrheit um die Mineralölsteuer. Die kennt man vom Benzin, vom Heizöl und vom Erdgas, das ja ebenfalls meist zum Heizen benutzt wird. Und diese Mineralölsteuer muss bisher auch von Erdgaskraftwerken gezahlt werden - zusätzlich zur eigentlichen Ökosteuer. Während die Steinkohle vom Staat also künstlich subventioniert wird, während der Staat auch bei der Atomenergie noch einiges zuschießt, während die Braunkohle immerhin steuerfrei in Kraftwerken verbrannt werden darf, wird Erdgas als einziger Brennstoff mit einer zusätzlichen Steuer belastet.

Bisher wurden Erdgaskraftwerke in Deutschland künstlich unwirtschaftlich gemacht. Diese Benachteiligung wird mit der Neuregelung aufgehoben - und sonst gar nichts. Nun ist es immer noch beschlossene Sache, dass früher oder später Atomkraftwerke vom Netz gehen werden - das erste noch in dieser Legislaturperiode, danach sollen regelmäßig weitere folgen. Doch woher soll der Strom, den diese Atomkraftwerke produziert haben, dann kommen? Käme er von der Kohle, wäre es mit dem Klimaschutz und der Kohlendioxydreduzierung vorbei. Auch Erdgas setzt bei der Verbrennung Kohlendioxyd frei - verglichen mit einem Kohlekraftwerk allerdings nicht einmal halb soviel. Im Zusammenhang mit dem geplanten Braunkohleabbau von Garzweiler II hat sich die RWE Energie AG verpflichtet, mit einem gigantischen Neubauprogramm die alten Braunkohleriesen des rheinischen Reviers durch modernste Neuanlagen zu ersetzen. Nach RWE-Aussagen werden damit Zehntausende von Arbeitsplätzen gerettet. Die Landesregierung hat dies als „größtes Investitionsprogramm für den Umweltschutz“ gefeiert. Tatsächlich aber sind diese Neubauten schlicht die Voraussetzung, um Braunkohle weiterhin wirtschaftlich verstromen zu können. Rein klimatechnisch sind Erdgaskraftwerke selbst den modernsten Kohleblöcken weit überlegen !

Mit der Braunkohle geht es ohnehin bergab. Ein altes Kraftwerk mit nur 35 Prozent Wirkungsgrad braucht einfach viel zu viel Brennstoff, um noch rentabel zu sein. Ein Neubau mit 44 Prozent Wirkungsgrad nutzt zwar auch dem Klimaschutz, dient aber vor allem wirtschaftlichen Interessen. Allerdings kostet er auch jede Menge Geld. Knapp drei Milliarden hat der letzte große Braunkohleneubau, das Kraftwerk „Schwarze Pumpe“, gekostet. Ein Gaskraftwerk gleicher Größe ist für die Hälfte zu haben und dabei noch deutlich klimafreundlicher: Braunkohlestrom verursacht fast doppelt so viel Klimaschaden wie Strom aus Gaskraftwerken. Bliebe als Vorteil der Braunkohle ihre heimische Herkunft, für RWE sogar aus konzerneigener Förderung. Durch Rationalisierungsmaßnahmen wird sie von Jahr zu Jahr billiger - und anders als bei Importgas ist der Preis auf lange Zeit kalkulierbar. Trotzdem ist Braunkohle teuer. Pro Kilowattstunde kostet Strom aus Braunkohle heute knapp drei Pfennige - mit den Kosten des laufenden Kraftwerksbetriebes und Abschreibung für eine neue Anlage kostet der Strom aber mindestens fünf bis sieben Pfennige. Nun kann die Abschreibung sehr individuell kalkuliert werden, da Verluste in der Bauphase ja auch dramatische Steuererleichterungen mit sich bringen. Bei einer Berechnung mit üblicher Verzinsung des eingesetzten Kapitals nennen seriöse Quellen sogar bis zu elf Pfennige für Strom aus neuen Braunkohlekraftwerken. Erdgasstrom kann nach neuer Rechtslage für unter fünf Pfennige angeboten werden; und mehr als fünf Pfennige darf Grundlaststrom heutzutage „ab Kraftwerk“ nicht kosten. Je nach Jahreszeit ist er für Großabnehmer auf dem Spotmarkt heute schon ab 3,5 Pfennig zu haben. Da war die Entscheidung der RWE Energie AG für den Neubau von Braunkohlekraftwerken ohnehin ausgesprochen mutig. Nicht umsonst hat eine renommierte Rating-Agentur die Aktien der RWE Energie AG nach der damaligen Entscheidung zurückgestuft. Begründung: Mit Braunkohle könne RWE im freien Markt keine ausreichenden Gewinne mehr machen. Insofern ist die Angst der Kohlekumpel am Ende doch nicht ganz unberechtigt. Erdgasstrom - im Zweifelsfall aus dem Ausland Das deutsch/schwedische Unternehmen VASA-Energy will demnächst das erste erdgasbetriebene Großkraftwerk Deutschlands errichten; bei Greifswald, in Lubmin, soll eine Milliarde Mark investiert werden. Mit einer Erdgassteuer von 0,7 Pfennigen je Kilowattstunde Strom wäre der Neubau gegen die steuerfreien Kohlekraftwerke kaum konkurrenzfähig. Entstehen würde das Kraftwerk trotzdem: in Polen, ein paar Kilometer entfernt. Und im freien Markt würde es von dort aus den Strom liefern - billig und ohne Erdgassteuer.

Denn das ist die eigentliche Pointe der Geschichte: Die in Deutschland bisher erhobene Steuer auf Erdgas ist international gesehen ein Unikum. Egal, wo sonst ein solches Kraftwerk gebaut wird, Erdgas ist ebenso steuerfrei wie Kohle oder Uran. Und wenn die internationalen Firmenkonsortien nicht in Deutschland bauen, dann bauen sie eben an der Grenze und liefern den Strom von dort aus. Wäre die Benachteiligung von Erdgas bei uns nicht aufgehoben worden, würden diese Neubauten nicht bei uns entstehen.

Die Kohlelobby pfeift - und die SPD dreht Pirouetten. Ohnehin war die nordrhein-westfälische Kohlelobby erfolgreicher, als sie nach außen hin vorgibt. Ein wesentlicher „Knackpunkt“ der Mineralölsteuer-Befreiung beim Erdgas steckt nämlich in dem Zusatz „ab einem Wirkungsgrad von 57,5 Prozent“. Für ein Kohlekraftwerk wären schon 45 Prozent ein Traumwert. Ein großes Erdgaskraftwerk schafft heute 55 Prozent - doch obwohl 57,5 Prozent technisch gerade so eben machbar sind, stellt diese außergewöhnlich hohe Meßlatte einen ernsten Stolperstein dar. Denn wenn ein Kraftwerk diesen Wert im Betrieb dann doch nicht schafft, wären mit einem Schlag gigantische Steuerzahlungen fällig. Und bislang war kein Hersteller bereit, diese 57,5 Prozent im Dauerbetrieb wirklich zu garantieren und notfalls auch wirtschaftlich für den Schaden gerade zu stehen. Aus rein physikalischen Gründen ist der Wirkungsgrad an kalten Tagen größer als an warmen Tagen. Ein ungewöhnlich warmer Winter kann den Wirkungsgrad schon um das entscheidende Prozentchen sinken lassen - man müsste also sogar noch „Reserven“ einbauen, die mit heutigen Gasturbinen gar nicht zu schaffen sind. Und selbst wenn ein Hersteller diese Garantie übernimmt - er wird sich das zusätzliche Risiko bereits beim Baupreis bezahlen lassen. Unmittelbar nach den heftigen Protesten hat SPD Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering angekündigt, die Steuerbefreiung für Erdgas würde nur für Kraftwerke gelten, die in den nächsten drei Jahren in Betrieb gehen. Bei einer Bauzeit von zwei Jahren und angesichts der schwierigen Wirkungsgradgarantie, wäre so kurzfristig mit nicht allzu vielen Neubauten zu rechnen. Für die Kohlelobby wäre das Problem vom Tisch - oder aber ins Ausland verlagert. Allerletzte Pointe: RWE baut zurzeit ein erdgasbetriebenes Kraftwerk mit etwa 55 Prozent Wirkungsgrad in Holland. Bleibt abzuwarten, wann holländischer Billigstrom den deutschen Markt erobert! Da wäre es für RWE doch praktisch, das Scheitern der von vorneherein waghalsigen Braunkohleinvestitionen der rot-grünen Regierung in die Schuhe schieben zu können.

(Zur Hauptseite)